Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr.techn. Nicole Dörr

wissenschaftliche Leitung

AC2T research GmbH

AC2T research GmbH

Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr.techn. Nicole Dörr

wissenschaftliche Leitung

Ich bin Nicole Dörr, 46 Jahre alt. Ich habe 1995 in Maschinenbau Kunststofftechnik am TGM maturiert. Ich gehöre zur wissenschaftlichen Leitung von AC2T research GmbH (AC²T), dem Österreichischen Kompetenzzentrum für Tribologie, ansässig in Wiener Neustadt. Überdies bin ich Lehrende der TU Wien und betreue dort Studentenarbeiten.

Wie sah Ihre Laufbahn nach dem Abschluss am TGM aus?

Ich habe ab dem Wintersemester 1995/96 technische Chemie an der TU Wien studiert. Im zweiten Abschnitt habe ich vertiefend organische Chemie und Technologie gewählt. Die praktischen Arbeiten meiner Diplomarbeit über Polymerisation von Acryläure habe ich im Rahmen des ERASMUS-Studentenaustauschprogramms bei CNRS CPE Lyon in Frankreich durchgeführt. Der Abschluss erfolgte 2000 an der TU Wien. Meine Dissertation über die Analytik von Schwefelverbindungen in Erdölprodukten habe ich am Erdölinstitut der damaligen Österreichischen Forschungszentren Seibersdorf ausgeführt, der Abschluss erfolgte 2003. Seit 2003 bin ich wissenschaftliche Mitarbeiterin von AC²T, wo ich mich mit Schmier- und Kraftstoffen, Schmierung, Zustandsanalytik, neuen Schmierstoffchemien und anwendungsnahem Testen beschäftige. Seite 2016 gehöre ich der wissenschaftlichen Leitung von AC²T an. Seit Anfang 2020 habe ich die Lehrbefugnis (venia docendi, Habilitation) im Bereich “Tribologie” an der TU Wien und halte dort eine Vorlesung über Condition Monitoring von Schmierstoffen.

Wie sind Sie zu einer Entscheidung gekommen, was Sie nach Ihrer Matura machen sollen?

Ich wusste, dass ich ein technisches Studium als Fortsetzung der HTL machen wollte. Mich hat das Wissen meines Lehrers in Chemie der Kunststoffe beeindruckt. Das war Prof. Ernst Wogrolly, der in meinem 5. Jahr auch Direktor des TGM wurde. Daher habe ich anstelle einer Vertiefung in Kunststofftechnik, ein solches Studium wurde damals an der Montanuni Leoben angeboten, eine Verbreitung in Chemie gewählt und technische Chemie an der TU Wien studiert. Überdies habe ich viele Verwandte und Bekannte, die damals Ingenieursberufe ausgeübt haben. Diese Tatsache hat auch meine Entscheidung zugunsten der TU Wien beeinflusst, was meine Eltern unterstützt haben.

Hat Ihnen die Ausbildung am TGM im Leben weitergeholfen?

Eines vorweg, ich habe meine Zeit am TGM keinen Moment bereut. Diese 5 Jahre haben mich auf dreifache Weise geprägt:
1) Technisches und nichttechnisches Wissen: Das im Unterricht vermittelte Wissen habe ich wie ein Schwamm aufgesogen. Ich hätte gerne viel mehr gelernt. Neben dem Fachunterricht habe ich auch die sogenannten Nebenfächer sehr geschätzt. Das Wissen um die Geschichte, Geographie und Wirtschaft des Landes macht die eigene Arbeit in einem größeren Kontext klarer und ist überaus hilfreich, wenn man Kundenkontakte pflegt und die Kunden als Gäste betreut. Diese Einsicht kommt sicher erst nach einigen Jahren Berufserfahrung, ich kann jedoch versichern, das die nichttechnischen Fächer ihre Wichtigkeit haben. Ich habe auch Französisch als Freifach belegt, was mir Freunde als auch ein halbes Jahr Studium in Frankreich beschert hat.
2) Handwerkliche Fertigkeiten: Wie Werkstoffe wie Metalle, Holz und Kunststoffe mit Werkzeugen und Maschinen bearbeitet werden, habe ich überwiegend im Werkstättenunterricht gelernt. Das Gespür für Werkstoffe ist unerlässlich für einen Techniker. Ich profitiere davon im Beruf, obwohl ich schon lange nicht mehr in einer Werkstätte oder einem Labor tätig bin, als auch im Privaten, da ich Reparaturen, Möbelbauen, Renovieren, etc. selbst durchführe. Ich finde es bedenklich, dass dem Werkstättenunterricht heute nicht mehr die Bedeutung wie zu meiner Zeit beigemessen wird.
3) Soziale Komponente: Für mich, die ich damals in der Pubertät war, hat die Schule Ordnung in den täglichen Ablauf gebracht. Überdies lernt man viel über sich und andere: Leistung auch unter Stress liefern können, diese Stärke ist unerlässlich für den Beruf. Aus Fehlern lernen; jeder macht Fehler, der Intelligente analysiert und passt sein Verhalten an. Erkennen, wer einen weiterbringt (teamfähige Schulkollegen versus Trittbrettfahrer). Freunde fürs Leben. Etc.

Was war Ihr Plan vor Ihrem jetzigen Beruf? Hätten Sie gedacht, dass Sie wissenschaftliche Leitung werden?

Für mich stand anfangs eine Tätigkeit in der chemischen Industrie fest. Das TGM hat dafür den Grundstein gelegt. Durch Ferialjobs im Schmierstoff-Betriebslabor der OMV in den 1990ern (der Schmierstoffbereich wurde vor einigen Jahren an Lukoil verkauft) bin ich zur Tribologie, der Lehre von Reibung, Verschleiß und Schmierung, gekommen … und geblieben. Bis dahin wusste ich garnicht, dass es die Tribologie gibt. Der Begriff aus tribein (reiben) und logos (Lehre) und somit die eigenständige Wissenschaft wurden erst 1966 geprägt, obwohl sich der Mensch schon seit Jahrtausenden damit beschäftigt, Reibung und Verschleiß durch Schmierstoffe wie Öle und Fette zu reduzieren. Jedenfalls habe ich mich während des Doktoratsstudiums für die Tribologie entschieden und den Aufbau von AC²T (Firmengründung 2002) aktiv mitgestaltet.

Wie wird man wissenschaftliche Leitung?

“Tribologe oder Tribologin wird man durch Zufall”, hat ein Tribologe einmal treffend formuliert. Tatsächlich gibt es kaum klassische Ausbildungsmöglichkeiten wie an einer HTL oder einer Universität. Allzuoft finden Probleme und Lösungen zu Reibung und Verschleiß Erwähnung im Maschinenbau, was doch erstaunt, wenn bedacht wird, dass tribologische Vorgänge omnipräsent sind (Maschinen, Gelenke im Körper, Kontakt zwischen Rad und Fahrbahn oder Schuh und Gehsteig, Schifahren, etc.). Wissen über die Tribologie und dessen Anwendung ergibt sich überwiegend aus “training on the job”. An der TU Wien gibt es mittlerweile einen Professor für Tribologie, Prof. Carsten Gachot, und meine Wenigkeit. Auf europäischer Ebene wird ein Master-Lehrgang (https://www.master-tribos.eu/) angeboten, der Aufenthalte bei Institutionen in Großbritannien, Schweden, Spanien und Slowenien ermöglicht. Wer Tribologie schon in der HTL-Zeit kennenlernen möchte, kann sich bei AC²T für eine Ferialpraxis oder Abschlussarbeit bewerben. Wir suchen auch HTL-Absolventen als Techniker für unsere Forschungsgeräte. Wir haben eine Vielzahl an Studierenden, die ihre Bachelor-, Master- oder Doktorarbeit im Rahmen unserer Forschungsprojekte durchführen.

Wie sieht ein Arbeitstag bei Ihnen aus?

Mein Arbeitstag fängt um ca. 7 Uhr an. Morgens lese und schreibe ich Emails und bereite mich auf die Meetings des Tages vor. Meine Funktion als wissenschaftliche Leitung bedeutet viel Interaktion mit den Kolleg:innen und Kunden auf vielfältige Weise, z.B. die Akquisition neuer Projekte, die Bewertung von Forschungsergebnissen, Troubleshooting wenn Experimente nicht so funktionieren wie geplant, Freigabe von Budgets, Berichten, Publikationen, etc. und die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens. Zum späteren Nachmittag hin wird es wieder ruhiger, sodass auch hier wieder der Schriftverkehr im Fokus steht. Der Arbeitstag endet um ca. 17 Uhr.

Wie lässt sich Ihr derzeitiger Beruf mit Familie und Freundeskreis vereinbaren?

Der Beruf nimmt einen wesentlichen Teil meiner Zeit ein. Familienleben findet überwiegend am Wochenende statt, dafür aber konsequent. Wichtig ist, eine klare Trennung zwischen Beruf und Privatleben vorzunehmen. Wobei ich die zeitliche Trennung für wichtiger halte als die räumliche. Letztere hat sich durch die Covid-Pandemie deutlich “aufgelöst”. Hinsichtlich Arbeits- und Freizeit sollte meines Erachtens eine deutliche Grenze gezogen werden, da man sonst nirgends richtig bei der Sache ist. Diese Trennung ist die wichtigste Vorbeugung gegen Burn-Out. Was die Familie anbelangt, sind Mann UND Frau auf eine echte Partnerschaft angewiesen.

Was sind die positiven Eigenschaften Ihres Berufs?

Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich meine universitäre Ausbildung in der Forschung umsetzen kann, wenngleich ich überwiegend Management von Forschung betreibe. Meine technisch-wissenschaftlichen Tätigkeiten sind sehr abwechslungsreich, sie reichen von Schmierstoffen und Kraftstoffen über die Entwicklung von Testmethoden hin zu Sensoren für die Zustandsüberwachung und Methoden der künstlichen Intelligenz. Kundentermine und die Teilnahme an Konferenzen bedingen Reisetätigkeiten, die es erlauben, andere Länder, Städte und Mentalitäten kennenzulernen. Diese Erfahrung bringt Gelassenheit mit sich, wenn Neues auf mich zukommt.

Was sind die negativen Eigenschaften Ihres Berufs?

Meine Funktion beinhaltet zahlreiche administrative Tätigkeiten wie Arbeitsplanung, Berichte aller Art, Controlling. Das sind Arbeiten, die erledigt werden müssen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Eine leitende Funktion erfordert auch das Beilegen von Konflikten oder leider die Empfehlung, sich von Mitarbeiter:Innen zu trennen.

Was könnte eine Motivation für junge Frauen sein, die sich nicht sicher sind, eine Ausbildung mit technischem Hintergrund anzufangen?

Es gibt viele Gründe, die für Technikerinnen sprechen:
1) Es gab schon immer Frauen, die sich in Technik und Wissenschaft verdient gemacht haben. Marie Curie ist sicher am bekanntesten. Mary Anderson (Erfinderin des Scheibenwischers), Melitta Bentz (Erfinderin des Kaffeefilters, wie wir ihn heute kennen, die Firma Melitta geht auf diese Frau zurück), Josephine Cochrane (Erfinderin der Geschirrspülmaschine, prämiert bei der Weltausstellung in Chicago 1893), Käthe Paulus (Erfinderin des zusammenlegbaren Fallschirms) und Ada Lovelace (Mathematikerin, Visionärin bzgl. Rechenmaschinen im 19. Jahrhundert!) seien als weitere historische Beispiele genannt. Diese Frauen reüssierten zu einer Zeit als es üblich war, Frauen generell von höherer Bildung auszuschließen und deren Berufsausübung nur in einem eng umgrenzten Rahmen zu erlauben. Als neuere Beispiele seien die Entwicklerinnen der Genschere CRISPR, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna (Nobelpreis für Chemie 2020), und die Wegbereiterin der mRNA-Impfstoffe, Katalin Karikó (ja, ihre Arbeiten haben wesentlich zu den mRNA-Impfstoffen gegen SARS-Cov-19 beigetragen!), genannt. Dass Technik und Wissenschaft Männersache sei, ist daher nicht nur ein Märchen, sondern schlicht eine Lüge.
2) Frauen in technischen Berufen werden heutzutage gefördert. Ich formuliere dies schärfer, es wird von ihnen gefordert. Das Maß an Unterstützung sollen Mädchen als Chance im Leben annehmen.
3) Frauen mögen zwar noch eine Minderheit in technischen Berufen darstellen, aber es gibt bereits genug Frauen, die als Vorbild dienen und Talente, Mädchen genauso wie Burschen, fördern können. Durch die Möglichkeiten des Internets (auf jeden Fall abseits von Instagram und dergleichen suchen) sind diese auch nicht schwierig zu finden.
4) Wer in der Technik oder Wissenschaft tätig ist, gestaltet die Zukunft mit. Andere machen zu lassen, funktioniert nicht. Wenn Du Dinge ändern willst, musst Du selbst Teil der Änderung, also der Lösung, werden.

Was würden Sie Ihrem „Alten Ich“ sagen?

Ich bin mit meinem Leben und meiner Karriere im Wesentlichen zufrieden. Meine Eltern waren mit meinen Entscheidungen nicht immer einverstanden, aber ich habe durchgezogen, was ich mir vorgenommen habe. Und stehe dazu.

Erlauben Sie uns, Sie noch um ein paar Schlussworte zu ersuchen?

Vieles ist schon bei den früheren Fragen angeklungen. Letztendlich muss jeder sein eigenes Leben leben und nicht das anderer. Das mag banal klingen, jedoch “schmiedet” jeder selbst die eigene Zukunft, wir sind also beim Thema “Eigenverantwortung”. Wenn Du aktiv mitgestalten willst, wird Dein Berufsleben eine höhere Intensität haben, und Dein Einsatz wird belohnt. Wenn Du “nur einen Job haben” willst, geht das auch in Ordnung. Sei dann fair zu jenen, die Dich auf der Karriereleiter überholen. Diese Kolleg:Innen sichern mitunter durch DEREN Einsatz DEINEN Job.

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