Wie sah Ihre Laufbahn nach dem Abschluss am TGM aus?
Nach der Matura im Jahr 1994 habe ich an der Universität Wien Physik sowie Philosophie und mathematische Logik studiert. Während das letztere Studium, wiewohl sehr interessant, nie zu einem Abschluss geführt hat, durfte ich in Physik 2003 im Fach „Computational Material Science“ sub auspiciis praesidentis promovieren.
Mit einer fundierten praktischen (TGM) und theoretischen (Studium) naturwissenschaftlich-technischen Ausbildung fehlte noch die Wirtschaftskompetenz. Management-Beratungsfirmen suchen auch heute noch gerne „Exoten“, wie die meisten Absolventen, die nicht aus einem wirtschaftswissenschaftlichen Fach kommen genannte werden, und so heuerte ich nach dem Studium bei (damals) Booz Allen Hamilton an. Heute ist das Unternehmen Teil der PwC Gruppe und heißt Strategy&. In den folgenden vier Jahren konnte ich nicht nur eine Menge lernen, sondern vor allem auch unsere Kunden, vor allem aus dem Telekommunikations- und Energiebereich, bei ihren Herausforderungen unterstützen. Während eines größeren Projekts bei einem deutschen Unternehmen für Erneuerbare Energien habe ich als Projektleiter im Jahr 2007 die Seiten gewechselt.
Die nächsten nunmehr bereits bald 15 Jahre bin ich auf der Karriereleiter hinauf und in der Wertschöpfungskette der Photovoltaik hinuntergeklettert. Nach 3 Jahren als Vertriebsleiter bei KIOTO Photovoltaics (einem Kärntner Produzenten für Solarpaneele) habe ich gemeinsam mit einem Kollegen das erste Unternehmen gegründet und war unter dem Namen KPV Solar einige Jahre als Co-Geschäftsführer in der Entwicklung und Errichtung von Photovoltaikanlagen tätig. Nachdem die anschließende Betriebsführung der Anlagen bei den Projekt Errichtern meist etwas stiefmütterlich behandelt wurde, gründete ich 2012 wieder mit ein paar Partnern die ENcome Energy Performance, der ich anfangs als Einzelgeschäftsführer vorstand. Sieben Jahre später war die ENcome eines der europaweit größeren unabhängigen technische Dienstleistungsunternehmen für Photovoltaik, mit über 100 Mitarbeitern und rund 1000 Großanlagen auf drei Kontinenten (Europa, Asien, Australien) unter Management.
Einer der ersten größeren Kunden der ENcome war die dänische Obton. Von dort wurde ich 2019 gefragt, ob ich nicht ein kleines technisches Team aufbauen möchte. Das „kleine“ Team besteht heute aus rund 40 Mitarbeitern (und wir suchen nach wie vor dringend Verstärkung in ganz Europa) und im Rahmen der Transformation von Obton von einem Finanzunternehmen zu einem Solargruppe wurde der technische Bereich aufgewertet und ich in den Vorstand des Unternehmens berufen. Im Jahr 2021 verwaltete Obton Photovoltaikanlagen im Wert von über 2,6 Mrd. Euro, und mit dem Erwerb der ersten Strom-Großspeicher in Deutschland bereiten wir uns gerade auf das nächste Kapitel der Energiewende vor. Meine Schreibtische heute stehen in Klagenfurt und Aarhus (Dänemark), mein Team ist von Barcelona über Paris, Mailand, Rom und Gelsenkirchen bis Budapest, Warschau und sogar Brisbane, Australien, verteilt.
Wie sind Sie zu einer Entscheidung gekommen, was Sie nach Ihrer Matura machen sollen?
Prägend für meine Entscheidung nach der Matura Physik zu studieren waren insbesondere einige Professoren des TGM. Nicht nur in Physik, auch in Mathematik und Messtechnik, sowie wenn ich mich richtig erinnere in dem einen oder anderen weiteren technischen Fach wurden wir von Physikern unterrichtet – das hat mir gezeigt wie vielseitig dieses Studium sein kann. Unterstützung habe ich insbesondere von meinen Eltern bekommen, und wenn es ein Vorbild gegeben hat, war es vermutlich mein Urgroßvater, dem Jahr 1913 (also genau hundert Jahre vor mir) im Fach Physik (damals noch) sub auspiciis imperatoris promoviert hat.
Hat Ihnen die Ausbildung am TGM im Leben weitergeholfen?
Absolut. Am TGM (bzw. generell auf berufsbildenden höheren Schulen, insbesondere der HTL) erhält man eine fundierte praktische Ausbildung. Zu Hause durfte ich meistens meinem Vater, der im übrigen Anfang der 60er Jahre auch am TGM in Maschinenbau maturiert hat, und somit wohl auch ein Vorbild für meine Entscheidung zu einer technischen Ausbildung war, nur das Werkzeug halten – am TGM habe ich gelernt, wie es selbst geht. Noch heute erinnern mich nicht nur viele Werkstücke die nach wie vor in Verwendung sind an meine Schulzeit, wie zum Beispiel die Pinzette gebogen (erstes Werkstück in der feinmechanischen Grundwerkstätte), ein Serviertablett aus der PV (Plastik verstärkt) oder eine Werkzeugkiste aus SG (Stahlbau Grundausbildung), auch einige Lehreraussagen sind mir in Erinnerung und wurden bereits an meinem Sohn weitergegeben. Die Erinnerung mag nach über 30 Jahren täuschen, ich glaube es war ein gewisser Herr Norbert Pay der uns in der ersten Klasse versucht hat löten beizubringen – und leider oft mitgeteilt hat „das heißt löten und nicht kleben“, wenn wir wieder einmal das Lötzinn kalt werden ließen ohne, dass es einen ordentlichen Lötkegel gebildet hätte.
Im Rahmen meiner Tätigkeit in der Photovoltaik hat mir meine elektrotechnische Grundausbildung sehr geholfen, auch als Manager bei technischen Themen mitreden zu können, was mir sowohl bei Lieferanten als auch Kunden einen gewissen Respekt verschafft hat (und ich mir dann manchmal auch erlauben durfte über Dinge zu sprechen von denen ich wenig Ahnung hatte).
Ein letztes Beispiel, das gerade erst kürzlich stattgefunden hat: Nach den starken Schneefällen Anfang Jänner 2022 sind bei uns in Kärnten zwei Phasen der Hauszuleitung für über 72 Stunden (3 Tage) ausgefallen. Es war sicher eher meine Erfahrung, die mit der Ausbildung am TGM begonnen hat als mein theoretisches Studium die mir erlaubt hat mit der verbleibenden Phase zumindest in einigen Räumen Licht zu haben sowie Kühlschrank und Tiefkühltruhe in Betrieb zu halten.
Für mich war das TGM sicherlich die richtige Wahl, obwohl ich zugeben muss, dass ich unserem Sohn, der gerade in der vierten Klasse Gymnasium ist, nicht nur gut zurede weiter in eine HTL zu gehen. Einerseits ist es (vor allem) der Zeitaufwand, der sich mit seinen vielen anderen Interessen (Eishockey, Mountainbiken, Saxophon) vermutlich schwer in Einklang bringen lässt, andererseits glaube ich insbesondere bei Menschen die wie er vermutlich auch studieren werden, dass es vielleicht auch nicht dumm ist in der Schule Dinge zu lernen für die man selbst weniger Antrieb hat (wie zum Beispiel eine zweite Fremdsprache, die mir schon manchmal ein wenig abgegangen ist) – Löten (oder zumindest kleben) lernt man dann ggfs. später auch noch.
Was war Ihr Plan vor Ihrem jetzigen Beruf? Hätten Sie gedacht, dass Sie Chief Technical Officer (CTO) werden?
Ich wollte immer einen technisch-naturwissenschaftlichen Beruf ergreifen, eigentlich zunächst in der Wissenschaft (das hat mir dann meine Tätigkeit als studentischer Vertreter in verschiedenen Universitätskommissionen ausgetrieben, schon damals war die Erwähnung in „Side Lettern“ bzw. zur richtigen „Familie“ zu gehören wichtiger als (in diesem Fall) wissenschaftliche Kompetenz).
Plan B war es meinem Vater nachzumachen, der seine Karriere als technischer Vorstand bei einem österreichischen Reifenhersteller beendet hat – Reifen sind es nicht geworden, aber den Rest habe ich ganz gut hinbekommen.
Das TGM hat an meinen Plänen nichts Wesentliches geändert.
Wie wird man Chief Technical Officer (CTO)?
Einerseits sich ein möglichst breites Wissen aufbauen und nie aufhören zu lernen – andererseits, und das merke ich insbesondere heute wo ich sehr viel mit Nicht-Technikern zu tun habe, zu lernen sein Wissen / seine Ideen möglichst einfach weiterzugeben… und dazu muss man in erster Linie selbst verstehen, wovon man spricht. Ein wesentlicher Tipp von mir: hören Sie zu und lernen sie während Ihrer Ausbildung gerade auch von denen Dingen die nicht zum unmittelbaren „Stoff“ gehören. Woran ich mich heute noch am meisten aus der Schule erinnere, sind die „G’schichtln“ die die Lehrer zwischendurch erzählt haben. Sei es der Bau eines Spitals in Russland gewesen oder die Verstärkerröhre im Satelliten die zwei Jahre länger als geplant gehalten hat, und der Entwickler wurde trotzdem entlassen, weil er sich verrechnet hat (und er hätte sich ja auch in die andere Richtung verrechnen können da er offensichtlich nicht wusste wie eine Röhre zu berechnen ist).
Chancen ergreifen und seine Ziele verfolgen, ohne dabei größenwahnsinnig oder ungeduldig zu werden (ich habe über 20 Berufsjahre gebraucht um jetzt in einer Position zu sein in der ich mich wirklich wohl fühle).
Wie sieht ein Arbeitstag bei Ihnen aus?
Ein Managementjob ist sicher kein „nine-to-five“ job, und ich musste erst lernen mit meiner Zeiteinteilung umzugehen (siehe auch die nächste Frage). Dafür ist es sehr abwechslungsreich, und es gibt keinen „Standard“ Arbeitstag. Ich leite einen Unternehmensbereich der sich bei uns als Dienstleister für alle andere Abteilungen sieht – meistens landen die Herausforderungen auf meinem Tisch an denen entweder sich andere die Zähne ausgebissen haben, die irgendwo schief gegangen sind oder für die sich sonst niemand zuständig fühlt. Das reicht dann von der statistischen Analyse von Betriebsdaten von PV Anlagen um sicherzustellen dass unsere Finanzmodelle mit den richtigen technischen Zahlen gefüllt werden, über die Entscheidung welche Sicherheitsmaßnahmen zum Beispiel nach der Überflutung einer Photovoltaikanlage zu treffen sind (das passiert besonders gerne in Japan, wo es ein sehr viel strengeres Verständnis von „Sicherheit“ gibt als zum Beispiel in Süditalien) bis zu Auftritten bei unseren Investoren um dort Eigenwerbung für unsere technische Kompetenz zu machen. Ein guter Teil des Tages (im Schnitt zumindest 4-5 Stunden, oft auch mehr) ist mit Meetings gefüllt (zunehmend Telefon- bzw. Videokonferenzen, was auf Dauer besonders anstrengend ist). Und schließlich ist dann noch das Reisen – zu nicht Coronazeiten bin ich zumindest 70-80 Tage im Jahr unterwegs, meist in Europa (und damit am Wochenende zu Hause), manchmal allerdings auch in Kanada, Japan, Australien oder sonst wo auf der Welt.
Wie lässt sich Ihr derzeitiger Beruf mit Familie und Freundeskreis vereinbaren?
Die Familie gewöhnt sich daran, dass ich viel unterwegs bin. Und ein Vorteil meines Jobs ist die relativ freie Zeiteinteilung. Ich arbeite sicher an die 60 Stunden und mehr pro Woche, allerdings kann ich mir leicht auch einmal zwei Stunden frei nehmen oder eine Telefonkonferenz abhalten, während ich die Kinder zum Eishockey-Match bringe. Wichtig ist, und das musste ich erst über die Jahre lernen, auch einmal abzuschalten – ich versuche zumindest einen Tag am Wochenende weder in den Computer noch auf mein Telefon zu schauen, und in letzter Zeit mache ich manchmal sogar eine Stunde Mittagsschlaf, insbesondere wenn abzusehen ist, dass es ein langer und arbeitsreicher Abend wird.
Was sind die positiven Eigenschaften Ihres Berufs?
Die Abwechslung, die Möglichkeit zu gestalten, Verantwortung zu übernehmen, aber auch in einem großartigen Managementteam manche Dinge nicht machen zu müssen (zum Beispiel Vertrieb oder Finanzen, beides Themen, die mich auf Dauer nicht wirklich begeistern können)
Was sind die negativen Eigenschaften Ihres Berufs?
Da gibt es zugegeben wenig. Manchmal gehen die langen Arbeitszeiten schon auf die Nerven, und manchmal würde ich mir wünschen, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch ein bisschen mehr Ehrgeiz an den Tag legen würden eine Herausforderung zu lösen (und nicht darauf zu vertrauen dass es „der Chef schon richtet“).
Was könnte eine Motivation für jungen Damen sein, die sich nicht sicher sind, eine Ausbildung mit technischem Hintergrund anzufangen?
Das müssten Sie vermutlich vor allem meine bessere Hälfte fragen – ebenfalls promovierte Physikerin leitet sie heute den Forschungsstandort von Silicon Austria in Villach mit weit über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Meine Antworten: Gerade weil Frauen in technischen Berufen in der Minderheit sind werden sie besonders gerne eingestellt. Ich hätte gerne mehr Frauen in meinem Team, mehr als eine Handvoll sind es derzeit (noch) nicht. Frauen bringen nicht nur manchmal eine etwas differenziertere Sichtweise zu einem Problem ein, sie tragen gerade in männerdominierten Gruppen unglaublich positiv zur Qualität des Teams und der Zusammenarbeit bei. Tatsächlich ist es auch so dass Frauen in technischen Berufen leichter Karriere machen, da sich alle Unternehmen mehr Frauen in Führungspositionen wünschen.
Last but not least – die Frage kann auch umgedreht werden: Warum sollten sich Frauen NICHT für Technik entscheiden? Es ist ein unglaublich spannendes und vielseitiges Feld und es gibt überhaupt keinen Grund, vorausgesetzt ein bisschen Interesse ist da, einen technischen Ausbildungsweg nicht einzuschlagen. Wir hatten selbst sieben junge Damen in unserer Klasse im TGM (selbst für heutige Verhältnisse noch eine hohe Zahl), davon haben vier mit uns maturiert, also fast 60% während von den 29 Burschen nur 12 „übrig“ geblieben sind, somit gute 40%. Drei von den vieren haben interessante Karrieren im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich gemacht (und die vierte eine ebenso interessante Stelle in einem anderen Bereich).
Was würden Sie Ihrem „Alten Ich“ sagen?
Weitermachen – am Ende wird alles gut. Rückschläge gehören dazu, davon sollte man sich nicht entmutigen lassen. Und wenn es einmal irgendwo nicht passt, auch loslassen können, es tun sich immer neue interessante Möglichkeiten auf.
Erlauben Sie uns, Sie noch um ein paar Schlussworte zu ersuchen?
Es gibt viele verschiedene Wege die zum Ziel, einem halbwegs glücklichen Leben, führen. Eine technische Ausbildung in einer HTL ist ein erster guter Schritt, und eröffnet viele Möglichkeiten, ohne andere zu verschließen. Viele meiner Klassenkolleginnen- und Kollegen sind im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich geblieben, es gibt aber auch Mediziner, Finanzvorstände oder Sportmanager unter den damaligen Absolventen.